Als Kode9 erzeugt er lautlose Vibrationen in Klubs, tagsüber ist er Professor Goodman. Nun hat Steve Goodman eine Abhandlung über akustische Kriegsführung geschrieben.
Ist Musik immer noch Musik, wenn die Lautstärke irreparable Schäden beim Menschen und bei seiner Umgebung erzeugt? Ist das noch Musik, wenn der Sound als Waffe auf einen Feind gerichtet ist? Kann man immer noch von Musik reden, wenn Schallwellen ausserhalb des menschlichen Hörbereichs körperliche Übelkeit auslösen? Und vor allem: Wie verhält sich Sound zu unserem alltäglichen Denken und Handeln in einer hyperkapitalistischen Gesellschaft?
Ökologie der Angst
Vor diesem Hintergrund muss das Buch «Sonic Warfare – Sound, Affect, and the Ecology of Fear» (etwa: «Geräusche, Gefühle und die Ökologie der Angst») von Steve Goodman verstanden werden, das dieser Tage bei MIT Press erschienen ist. Wer denkt, dabei handle es sich bloss um eine skurrile theoretische Abhandlung eines Schreibtischprofessors, muss sich eines Besseren belehren lassen. Hinter Goodman versteckt sich Kode9, ein wesentlicher Begründer der Londoner Dubstep-Szene, die mit Subbässen, also mit Bässen unterhalb der menschlichen Hörgrenze operiert (siehe WOZ Nr. 41/09). Als Produzent, DJ und Betreiber von Hyperdub Records hat er das Fundament für das junge Genre gelegt und definiert es mit jeder weiteren Veröffentlichung neu. Parallel dazu arbeitet er als Dozent am Institute for Sciences, Media and Cultural Studies an der University of East London, als Forscher ist er zudem als Mitglied der Cybernetic Culture Research Unit tätig.
Die Erkenntnisse, die er an der Schnittstelle von Popkultur, Sozialwissenschaften, Physik, Chemie und Psychologie gewonnen hat, fliessen in überaus dichter Form in seine Abhandlung zur akustischen Kriegsführung. Goodman ist vor allem an der Frage interessiert, wie Sound als Waffe eingesetzt werden kann – und wie man damit Menschen kontrolliert. So beschäftigt sich Goodman mit jamaikanischen Sound Systems ebenso wie mit Filmsoundtracks oder diversen Ohrwürmertechnologien. An Beispielen wie den sogenannten Sound Bombs – von Israel im Gazastreifen eingesetzt – wird auch der militärische Einsatz von Schallwaffen untersucht.
Erhellend sind auch Steve Goodmans Beschreibungen des Missbrauchs von westlichen Pop- und Rocksongs. Psychoakustische Zermürbungstaktiken der US-Militärs erklärt er an Exempeln wie den «Greatest Hits» von Guantánamo. Ausführliche Kapitel widmet er zudem neu entwickelten Schallkanonen wie dem LRAD (Long Range Acoustic Device), das erstmals vergangenen September bei der Abwehr von Protestkundgebungen beim G20-Gipfel in Pittsburgh verwendet wurde, oder den Hochfrequenztönen, die nicht konsumfreudige Teenager von Einkaufspassagen fernhalten sollen. Und dann geht es auch darum, wie Körper durch klanggesteuerte Muster auf der Tanzfläche animiert werden können.
Schall und Macht
Mit seiner Untersuchung über die «Politik der Frequenzen» betritt der Autor ein kaum erforschtes Feld, das bislang auch in den meisten Diskursen zum Thema Sound und Macht fehlte. Bereits unsere normale Umgebung mit den alltäglichen Hintergrundgeräuschen nimmt er dabei als akustische Kriegsführung wahr. Dazu zählt er auch jene Frequenzen, die für das menschliche Gehör nicht mehr hörbar, sondern nur noch als rhythmische Vibrationen spürbar sind. Goodmans Verständnis geht so weit, dass alles vibriert – Häuser, Menschen, Pflanzen und alles dazwischen. Goodman nennt diese Schallereignisse auch Unsound.